Funktionsabschlüsse (closures): Anonyme Funktionen, die ihre Umgebung erfassen

Rusts Funktionsabschlüsse sind anonyme Funktionen, die du in einer Variable speichern oder anderen Funktionen als Argument übergeben kannst. Du kannst einen Funktionsabschluss erstellen und dann in einem anderen Zusammenhang aufrufen und auswerten. Im Gegensatz zu Funktionen können Funktionsabschlüsse auf Werte (values) im Gültigkeitsbereich (scope) zugreifen, in dem sie erstellt wurden. Wir werden im Folgenden zeigen, wie die Funktionalität von Funktionsabschlüssen die Wiederverwendung von Code erlaubt und sein Verhalten anpassen kann.

Erfassen der Umgebung mit Funktionsabschlüssen

Wir werden zunächst untersuchen, wie wir Funktionsabschlüsse verwenden können, um Werte aus der Umgebung, in der sie definiert sind, zur späteren Verwendung zu erfassen. Hier ist das Szenario: Von Zeit zu Zeit verschenkt unsere T-Shirt-Firma ein exklusives T-Shirt in limitierter Auflage an jemanden aus unserer Mailingliste als Werbeaktion. Die Personen auf der Mailingliste können optional ihre Lieblingsfarbe zu ihrem Profil hinzufügen. Wenn die Person, die das kostenlose Shirt erhalten soll, ihre Lieblingsfarbe in ihrem Profil angegeben hat, erhält sie das Hemd in dieser Farbe. Wenn die Person keine Lieblingsfarbe angegeben hat, erhält sie die Farbe, in der das Unternehmen derzeit die meisten Exemplare hat.

Es gibt viele Möglichkeiten, dies zu implementieren. Für dieses Beispiel werden wir eine Aufzählung namens ShirtColor verwenden, die die Varianten Red und Blue hat (der Einfachheit halber wird die Anzahl der verfügbaren Farben begrenzt). Das Inventar des Unternehmens wird durch eine Struktur Inventory repräsentiert, die ein Feld mit dem Namen shirts hat, das ein Vec<ShirtColor> mit den derzeit vorrätigen Hemden enthält. Die Methode giveaway, die auf Inventory definiert ist, erhält die optionale Shirtfarbe der Person, die das kostenlose Shirt erhält, und gibt die Shirtfarbe zurück, die die Person erhalten wird. Dies wird in Codeblock 13-1 gezeigt:

Dateiname: src/main.rs

#[derive(Debug, PartialEq, Copy, Clone)]
enum ShirtColor {
    Red,
    Blue,
}

struct Inventory {
    shirts: Vec<ShirtColor>,
}

impl Inventory {
    fn giveaway(&self, user_preference: Option<ShirtColor>) -> ShirtColor {
        user_preference.unwrap_or_else(|| self.most_stocked())
    }

    fn most_stocked(&self) -> ShirtColor {
        let mut num_red = 0;
        let mut num_blue = 0;

        for color in &self.shirts {
            match color {
                ShirtColor::Red => num_red += 1,
                ShirtColor::Blue => num_blue += 1,
            }
        }
        if num_red > num_blue {
            ShirtColor::Red
        } else {
            ShirtColor::Blue
        }
    }
}

fn main() {
    let store = Inventory {
        shirts: vec![ShirtColor::Blue, ShirtColor::Red, ShirtColor::Blue],
    };

    let user_pref1 = Some(ShirtColor::Red);
    let giveaway1 = store.giveaway(user_pref1);
    println!(
        "Der Benutzer mit Präferenz {:?} erhält {:?}",
        user_pref1, giveaway1
    );

    let user_pref2 = None;
    let giveaway2 = store.giveaway(user_pref2);
    println!(
        "Der Benutzer mit Präferenz {:?} erhält {:?}",
        user_pref2, giveaway2
    );
}

Codeblock 13-1: Werbegeschenk der Shirtfirma

Der in main definierte store hat zwei blaue Shirts und ein rotes Shirt übrig, die für diese limitierte Aktion verteilt werden sollen. Wir rufen die Methode giveaway für einen Benutzer mit einer Präferenz für ein rotes Hemd und einen Benutzer ohne jegliche Präferenz auf.

Auch dieser Code könnte auf viele Arten implementiert werden. Um uns auf Funktionsabschlüsse zu konzentrieren, haben wir uns an die Konzepte gehalten, die du bereits gelernt hast, mit Ausnahme des Methodenrumpfs von giveaway, der einen Funktionsabschluss verwendet. In der Methode giveaway erhalten wir die Benutzerpräferenz als einen Parameter vom Typ Option<ShirtColor> und rufen die Methode unwrap_or_else auf user_preference auf. Die Methode unwrap_or_else auf Option<T> ist in der Standardbibliothek definiert. Sie nimmt ein Argument entgegen: Einen Funktionsabschluss ohne Argument, der einen Wert T zurückgibt (denselben Typ, der in der Variante Some von Option<T> gespeichert ist, in diesem Fall ShirtColor). Wenn Option<T> die Variante Some ist, gibt unwrap_or_else den Wert aus Some zurück. Wenn Option<T> die Variante None ist, ruft unwrap_or_else den Funktionsabschluss auf und gibt den Wert zurück, der vom Funktionsabschluss zurückgegeben wurde.

Wir geben den Funktionsabschluss-Ausdruck || self.most_stocked() als Argument bei unwrap_or_else an. Dies ist ein Funktionsabschluss, die selbst keine Parameter hat (wenn der Funktionsabschluss Parameter hätte, würden sie zwischen den beiden vertikalen Strichen erscheinen). Der Rumpf des Funktionsabschlusses ruft self.most_stocked() auf. Wir definieren den Funktionsabschluss hier, und die Implementierung von unwrap_or_else wird den Funktionsabschluss später auswerten, wenn das Ergebnis benötigt wird.

Die Ausführung dieses Codes gibt aus:

$ cargo run
   Compiling shirt-company v0.1.0 (file:///projects/shirt-company)
    Finished dev [unoptimized + debuginfo] target(s) in 0.27s
     Running `target/debug/shirt-company`
Der Benutzer mit Präferenz Some(Red) erhält Red
Der Benutzer mit Präferenz None erhält Blue

Ein interessanter Aspekt ist hier, dass wir einen Funktionsabschluss übergeben haben, der self.most_stocked() für die aktuelle Inventory-Instanz aufruft. Die Standardbibliothek musste nichts über die von uns definierten Typen Inventory oder ShirtColor oder die Logik, die wir in diesem Szenario verwenden wollen, wissen. Der Funktionsabschluss hat eine unveränderbare Referenz auf die self-Instanz von Inventory erfasst und sie mit dem von uns angegebenen Code an die Methode unwrap_or_else übergeben. Funktionen sind andererseits nicht in der Lage, ihre Umgebung auf diese Weise zu erfassen.

Funktionsabschluss-Typinferenz und Annotation

Es gibt weitere Unterschiede zwischen Funktionen und Funktionsabschlüssen. Bei Funktionsabschlüssen ist es normalerweise nicht erforderlich, die Typen der Parameter oder des Rückgabewertes zu annotieren, wie es bei fn-Funktionen der Fall ist. Typ-Annotationen sind bei Funktionen erforderlich, weil die Typen Teil einer expliziten Schnittstelle sind, die für deine Benutzer sichtbar ist. Die strikte Definition dieser Schnittstelle ist wichtig, um sicherzustellen, dass alle Beteiligten sich darüber einig sind, welche Arten von Werten eine Funktion verwendet und zurückgibt. Funktionsabschlüsse werden hingegen nicht in einer offengelegten Schnittstelle wie dieser verwendet: Sie werden in Variablen gespeichert und verwendet, ohne sie zu benennen und den Benutzern unserer Bibliothek offenzulegen.

Funktionsabschlüsse sind in der Regel kurz und nur in einem engen Kontext und nicht in jedem beliebigen Szenario relevant. Innerhalb dieser begrenzten Kontexte kann der Compiler die Typen der Parameter und des Rückgabetyps ableiten, ähnlich wie er die Typen der meisten Variablen ableiten kann (es gibt seltene Fälle, in denen der Compiler auch Funktionsabschluss-Typannotationen benötigt).

Wie bei Variablen können wir Typ-Annotationen hinzufügen, wenn wir die Explizitheit und Klarheit erhöhen wollen, auch wenn wir dafür ausführlicher sind als unbedingt nötig. Die Annotation der Typen für einen Funktionsabschluss würde wie die in Codeblock 13-2 gezeigte Definition aussehen. In diesem Beispiel definieren wir einen Funktionsabschluss und speichern ihn in einer Variablen, anstatt den Funktionsabschluss an der Stelle zu definieren, an der wir ihn als Argument übergeben, wie wir es in Codeblock 13-1 getan haben.

Dateiname: src/main.rs

use std::thread;
use std::time::Duration;

fn generate_workout(intensity: u32, random_number: u32) {
    let expensive_closure = |num: u32| -> u32 {
        println!("rechnet langsam...");
        thread::sleep(Duration::from_secs(2));
        num
    };

    if intensity < 25 {
        println!("Mach heute {} Liegestütze!", expensive_closure(intensity));
        println!("Als nächstes {} Sit-ups!", expensive_closure(intensity));
    } else {
        if random_number == 3 {
            println!("Mach heute eine Pause! Denk daran, ausreichend zu trinken!");
        } else {
            println!(
                "Heute, {} Minuten Lauftraining!",
                expensive_closure(intensity)
            );
        }
    }
}

fn main() {
    let simulated_user_specified_value = 10;
    let simulated_random_number = 7;

    generate_workout(simulated_user_specified_value, simulated_random_number);
}

Listing 13-2: Hinzufügen optionaler Datentypangabe der Parameter- und Rückgabewert-Typen im Funktionsabschluss

Mit Typ-Annotationen ähnelt die Syntax eines Funktionsabschlusses sehr der Syntax einer Funktion. Hier definieren wir eine Funktion, die zu ihrem Parameter den Wert 1 addiert, und zum Vergleich einen Funktionsabschluss mit identischem Verhalten. Zur besseren Darstellung der relevanten Teile haben wir einige Leerzeichen eingefügt. Dies zeigt, wie ähnlich die Syntax von Funktionen der von Funktionsabschlüssen ist, abgesehen von den senkrechten Strichen und der Möglichkeit, einen Teil der Syntax wegzulassen:

fn  add_one_v1   (x: u32) -> u32 { x + 1 }
let add_one_v2 = |x: u32| -> u32 { x + 1 };
let add_one_v3 = |x|             { x + 1 };
let add_one_v4 = |x|               x + 1  ;

Die erste Zeile zeigt eine Funktionsdefinition und die zweite eine Definition eines Funktionsabschlusses mit allen Datentypangaben. In der dritten Zeile werden die Datentypangaben aus der Funktionsabschluss-Definition entfernt, und in der vierten Zeile werden die geschweiften Klammern weggelassen, die optional sind, da der Funktionsabschluss-Rumpf nur einen Ausdruck beinhaltet. All diese Ausdrücke sind gültig und verhalten sich beim Aufruf gleich. Von add_one_v3 und add_one_v4 wird ein Aufruf zum Kompilieren des Codes benötigt, da hier die Typen abhängig von der Verwendung abgeleitet werden. Dies ist vergleichbar mit let v = Vec::new();, bei dem entweder Typ-Annotationen oder Werte eines bestimmten Typs in den Vec eingefügt werden müssen, damit Rust den Typ ableiten kann.

Bei Funktionsabschlussdefinitionen wird für jeden Parameter und für den Rückgabewert ein konkreter Typ abgeleitet. Codeblock 13-3 zeigt zum Beispiel die Definition eines kurzen Funktionsabschlusses, der nur den Wert des übergebenen Parameters zurückgibt. Dieser Funktionsabschluss ist außer für dieses Beispiel nicht weiter nützlich. Beachte, dass wir der Definition keine Datentypangaben hinzugefügt haben. Da es keine Typ-Annotationen gibt, können wir den Funktionsabschluss mit einem beliebigen Typ aufrufen, was wir hier mit String das erste Mal getan haben. Wenn wir dann versuchen, example_closure mit einer Ganzzahl aufzurufen, erhalten wir einen Fehler.

Dateiname: src/main.rs

#![allow(unused)]
fn main() {
let example_closure = |x| x;

let s = example_closure(String::from("hallo"));
let n = example_closure(5);
}

Codeblock 13-3: Versuchter Aufruf eines Funktionsabschlusses, dem zwei unterschiedliche Typen übergeben wurden

Der Compiler gibt diesen Fehler aus:

$ cargo run
   Compiling closure-example v0.1.0 (file:///projects/closure-example)
error[E0308]: mismatched types
 --> src/main.rs:5:29
  |
5 |     let n = example_closure(5);
  |             --------------- ^- help: try using a conversion method: `.to_string()`
  |             |               |
  |             |               expected `String`, found integer
  |             arguments to this function are incorrect
  |
note: expected because the closure was earlier called with an argument of type `String`
 --> src/main.rs:4:29
  |
4 |     let s = example_closure(String::from("hello"));
  |             --------------- ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^ expected because this argument is of type `String`
  |             |
  |             in this closure call
note: closure parameter defined here
 --> src/main.rs:2:28
  |
2 |     let example_closure = |x| x;
  |                            ^

For more information about this error, try `rustc --explain E0308`.
error: could not compile `closure-example` (bin "closure-example") due to 1 previous error

Beim ersten Aufruf von example_closure wird dem Typ von x und dem Rückgabewert des Funktionsabschlusses der Typ String zugewiesen. Diese Typen sind dann für den Funktionsabschluss example_closure festgeschrieben. Daher bekommen wir eine Fehlermeldung, wenn wir versuchen einen anderen Typ mit dem gleichen Funktionsabschluss zu benutzen.

Erfassen von Referenzen oder Verschieben der Eigentümerschaft

Funktionsabschlüsse können Werte aus ihrer Umgebung auf drei Arten erfassen, die direkt den drei Möglichkeiten entsprechen, wie eine Funktion einen Parameter aufnehmen kann: Unveränderbare Ausleihen (borrowing immutably), veränderbare Ausleihen (borrowing mutably) und Eigentümerschaft übernehmen (taking ownership). Der Funktionsabschluss entscheidet, welche dieser Möglichkeiten verwendet wird, je nachdem, was der Rumpf der Funktion mit den erfassten Werten macht.

In Codeblock 13-4 definieren wir einen Funktionsabschluss, der eine unveränderbare Referenz an den Vektor mit dem Namen list erfasst, weil er nur eine unveränderbare Referenz benötigt, um den Wert auszugeben:

Dateiname: src/main.rs

fn main() {
    let list = vec![1, 2, 3];
    println!("Vor der Funktionsabschlussdefinition: {:?}", list);

    let only_borrows = || println!("Im Funktionsabschluss: {:?}", list);

    println!("Vor dem Funktionsabschluss-Aufruf: {:?}", list);
    only_borrows();
    println!("Nach dem Funktionsabschluss-Aufruf: {:?}", list);
}

Codeblock 13-4: Definieren und Aufrufen eines Funktionsabschlusses, der eine unveränderbare Referenz erfasst

Dieses Beispiel veranschaulicht auch, dass eine Variable an eine Funktionsabschlussdefinition gebunden werden kann, und wir den Funktionsabschluss später aufrufen können, indem wir den Variablennamen und die Klammern verwenden, als ob der Variablenname ein Funktionsname wäre.

Da wir mehrere unveränderbare Referenzen auf list zur gleichen Zeit haben können, ist list immer noch vom Code vor der Funktionsabschlussdefinition zugreifbar, sowie nach der Funktionsabschlussdefinition und vor dem Aufruf des Funktionsabschlusses, und nach dem Aufruf des Funktionsabschlusses. Dieser Code kompiliert, läuft und gibt folgendes aus:

$ cargo run
   Compiling closure-example v0.1.0 (file:///projects/closure-example)
    Finished dev [unoptimized + debuginfo] target(s) in 0.43s
     Running `target/debug/closure-example`
Vor der Funktionsabschlussdefinition: [1, 2, 3]
Vor dem Funktionsabschluss-Aufruf: [1, 2, 3]
Im Funktionsabschluss: [1, 2, 3]
Nach dem Funktionsabschluss-Aufruf: [1, 2, 3]

In Codeblock 13-5 wird die Definition des Funktionsabschlusses so geändert, dass er ein Element zum Vektor list hinzufügt. Der Funktionsabschluss erfasst nun eine veränderbare Referenz:

Dateiname: src/main.rs

fn main() {
    let mut list = vec![1, 2, 3];
    println!("Vor der Funktionsabschlussdefinition: {:?}", list);

    let mut borrows_mutably = || list.push(7);

    borrows_mutably();
    println!("Nach dem Funktionsabschluss-Aufruf: {:?}", list);
}

Codeblock 13-5: Definieren und Aufrufen eines Funktionsabschlusses, der eine veränderbare Referenz erfasst

Dieser Code kompiliert, läuft und gibt aus:

$ cargo run
   Compiling closure-example v0.1.0 (file:///projects/closure-example)
    Finished dev [unoptimized + debuginfo] target(s) in 0.43s
     Running `target/debug/closure-example`
Vor der Funktionsabschlussdefinition: [1, 2, 3]
Nach dem Funktionsabschluss-Aufruf: [1, 2, 3, 7]

Beachte, dass es kein println! mehr zwischen der Definition und dem Aufruf des Funktionsabschlusses borrows_mutably gibt: Wenn borrows_mutably definiert ist, erfasst es eine veränderbare Referenz auf list. Der Funktionsabschluss wird nicht mehr verwendet, nachdem er aufgerufen wurde, daher endet die veränderbare Ausleihe. Zwischen der Funktionsabschlussdefinition und dem Funktionsabschluss-Aufruf ist eine unveränderbare Ausleihe für die Ausgabe nicht erlaubt, weil keine anderen Ausleihen erlaubt sind, wenn es eine veränderbare Ausleihe gibt. Versuche, dort ein println! hinzuzufügen, um zu sehen, welche Fehlermeldung du erhältst!

Wenn du den Funktionsabschluss zwingen willst, die Eigentümerschaft der Werte, die er in der Umgebung verwendet, zu übernehmen, obwohl der Rumpf des Funktionsabschlusses nicht unbedingt Eigentümer sein muss, kannst du das Schlüsselwort move vor der Parameterliste verwenden.

Diese Technik ist vor allem nützlich, wenn ein Funktionsabschluss an einen neuen Strang (thread) übergeben wird, um die Daten zu verschieben, sodass sie dem neuen Strang gehören. Wir werden in Kapitel 16, wenn wir über Nebenläufigkeit (concurrency) sprechen, detailliert auf Stränge eingehen und erläutern, warum man sie verwenden sollte, aber jetzt wollen wir uns kurz mit dem Erzeugen eines neuen Strangs mithilfe eines Funktionsabschlusses befassen, der das Schlüsselwort move benötigt. Codeblock 13-6 zeigt Codeblock 13-4 modifiziert, um den Vektor in einem neuen Strang statt im Hauptstrang auszugeben:

Dateiname: src/main.rs

use std::thread;

fn main() {
    let list = vec![1, 2, 3];
    println!("Vor der Funktionsabschlussdefinition: {:?}", list);

    thread::spawn(move || println!("Im Strang: {:?}", list))
        .join()
        .unwrap();
}

Codeblock 13-6: Verwenden von move, um den Funktionsabschluss des Strangs zu erzwingen, die Eigentümerschaft an list zu übernehmen

Wir starten einen neuen Strang und geben ihm einen Funktionsabschluss als Argument mit. Der Rumps des Funktionsabschlusses gibt die Liste aus. In Codeblock 13-4 hat der Funktionsabschluss nur list mit einer unveränderbaren Referenz erfasst, weil das die kleinste Zugriffmenge auf list ist, die benötigt wird, um sie auszugeben. In diesem Beispiel müssen wir, obwohl der Funktionsabschluss-Rumpf nur eine unveränderbare Referenz benötigt, angeben, dass list in den Funktionsabschluss verschoben werden soll, indem wir das Schlüsselwort move an den Anfang der Funktionsabschlussdefinition setzen. Der neue Strang könnte beendet werden, bevor der Rest des Hauptstrangs beendet wird, oder der Hauptstrang könnte zuerst beendet werden. Wenn der Hauptstrang die Eigentümerschaft von list beibehält, aber vor dem neuen Strang endet und list aufräumt, wäre die unveränderbare Referenz im Strang ungültig. Daher verlangt der Compiler, dass list in den Funktionsabschluss im neuen Strang verschoben wird, damit die Referenz gültig bleibt. Versuche, das Schlüsselwort move zu entfernen oder list im Hauptstrang zu verwenden, nachdem der Funktionsabschluss definiert wurde, um zu sehen, welche Compilerfehler du erhältst!

Verschieben erfasster Werte aus Funktionsabschlüssen und Fn-Merkmalen

Sobald ein Funktionsabschluss eine Referenz oder die Eigentümerschaft eines Werts aus der Umgebung, in der der Funktionsabschluss definiert ist, erfasst hat (und damit beeinflusst, was in den Funktionsabschluss verschoben wird), definiert der Code im Rumpf des Funktionsabschlusses, was mit den Referenzen oder Werten passiert, wenn der Funktionsabschluss später ausgewertet wird (und damit beeinflusst, was aus dem Funktionsabschluss verschoben wird). Ein Funktionsabschluss-Rumpf kann eine der folgenden Aktionen ausführen: Einen erfassten Wert aus dem Funktionsabschluss herausbewegen, den erfassten Wert verändern, den Wert weder bewegen noch verändern oder zunächst nichts aus der Umgebung erfassen.

Die Art und Weise, wie ein Funktionsabschluss Werte aus der Umgebung erfasst und verarbeitet, wirkt sich darauf aus, welche Merkmale (traits) der Funktionsabschluss implementiert, und mit Hilfe von Merkmalen können Funktionen und Strukturen angeben, welche Arten von Funktionsabschlüssen sie verwenden können. Funktionsabschlüsse implementieren automatisch eine, zwei oder alle drei dieser Fn-Merkmale, und zwar in additiver Weise, je nachdem, wie der Rumpf des Funktionsabschlusses die Werte behandelt:

  1. FnOnce gilt für Funktionsabschlüsse, die einmal aufgerufen werden können. Alle Funktionsabschlüsse implementieren zumindest dieses Merkmal, weil alle Funktionsabschlüsse aufgerufen werden können. Ein Funktionsabschluss, der erfasste Werte aus seinem Rumpf herausverschiebt, implementiert nur FnOnce und keine der anderen Fn-Merkmale, weil er nur einmal aufgerufen werden kann.
  2. FnMut gilt für Funktionsabschlüsse, die die erfassten Werte nicht aus ihrem Rumpf herausverschieben, aber die erfassten Werte möglicherweise verändern. Diese Funktionsabschlüsse können mehr als einmal aufgerufen werden.
  3. Fn gilt für Funktionsabschlüsse, die die erfassten Werte nicht aus ihrem Rumpf herausverschieben und die erfassten Werte nicht verändern, sowie Funktionsabschlüsse, die nichts aus ihrer Umgebung erfassen. Diese Funktionsabschlüsse können mehr als einmal aufgerufen werden, ohne ihre Umgebung zu verändern, was wichtig ist, wenn z.B. ein Funktionsabschluss mehrere Male gleichzeitig aufgerufen wird.

Schauen wir uns die Definition der Methode unwrap_or_else auf Option<T> an, die wir in Codeblock 13-1 verwendet haben:

impl<T> Option<T> {
    pub fn unwrap_or_else<F>(self, f: F) -> T
    where
        F: FnOnce() -> T
    {
        match self {
            Some(x) => x,
            None => f(),
        }
    }
}

Erinnere dich, dass T der generische Typ ist, der den Typ des Wertes in der Some-Variante einer Option darstellt. Dieser Typ T ist auch der Rückgabetyp der Funktion unwrap_or_else: Code, der unwrap_or_else auf einer Option<String> aufruft, erhält zum Beispiel einen String.

Als Nächstes ist zu beachten, dass die Funktion unwrap_or_else den zusätzlichen generischen Typ-Parameter F hat. Der Typ F ist der Typ des Parameters namens f, der der Funktionsabschluss ist, den wir beim Aufruf von unwrap_or_else bereitstellen.

Die für den generischen Typ F spezifizierte Merkmalsabgrenzung ist FnOnce() -> T, was bedeutet, dass F mindestens einmal aufgerufen werden können muss, keine Argumente annimmt und ein T zurückgeben muss. Die Verwendung von FnOnce in der Merkmalsabgrenzung drückt die Einschränkung aus, dass unwrap_or_else f höchstens ein Mal aufrufen wird. Im Rumpf von unwrap_or_else können wir sehen, dass, wenn die Option Some ist, f nicht aufgerufen wird. Wenn die Option None ist, wird f einmal aufgerufen. Da alle Funktionsabschlüsse FnOnce implementieren, akzeptiert unwrap_or_else die unterschiedlichsten Arten von Funktionsabschlüssen und ist so flexibel wie nur möglich.

Anmerkung: Funktionen können auch alle drei Fn-Merkmale implementieren. Wenn das, was wir tun wollen, keine Erfassung eines Wertes aus der Umgebung erfordert, können wir den Namen einer Funktion anstelle eines Funktionsabschlüsses verwenden, bei dem wir etwas brauchen, das eine der Fn-Markmale implementiert. Zum Beispiel könnten wir bei einem Option<Vec<T>>-Wert unwrap_or_else(Vec::new) aufrufen, um einen neuen, leeren Vektor zu erhalten, wenn der Wert None ist.

Schauen wir uns nun die Standard-Bibliotheksmethode sort_by_key an, die auf Anteilstypen (slices) definiert ist, um zu sehen, wie sie sich von unwrap_or_else unterscheidet und warum sort_by_key FnMut statt FnOnce für die Mermalsabgrenzung verwendet. Der Funktionsabschluss erhält ein Argument, eine Referenz auf das aktuelle Element im betrachteten Anteilstyp, und gibt einen Wert vom Typ K zurück, der geordnet werden kann. Diese Funktion ist nützlich, wenn man einen Anteilstyp nach einem bestimmten Attribut der einzelnen Elemente sortieren will. In Codeblock 13-7 haben wir eine Liste von Rectangle-Instanzen und benutzen sort_by_key, um sie nach ihrem width-Attribut von niedrig nach hoch zu sortieren:

Dateiname: src/main.rs

#[derive(Debug)]
struct Rectangle {
    width: u32,
    height: u32,
}

fn main() {
    let mut list = [
        Rectangle { width: 10, height: 1 },
        Rectangle { width: 3, height: 5 },
        Rectangle { width: 7, height: 12 },
    ];

    list.sort_by_key(|r| r.width);
    println!("{:#?}", list);
}

Codeblock 13-7: Verwenden von sort_by_key um Rechtecke nach ihrer Breite zu sortieren

Dieser Code gibt aus:

$ cargo run
   Compiling rectangles v0.1.0 (file:///projects/rectangles)
    Finished dev [unoptimized + debuginfo] target(s) in 0.41s
     Running `target/debug/rectangles`
[
    Rectangle {
        width: 3,
        height: 5,
    },
    Rectangle {
        width: 7,
        height: 12,
    },
    Rectangle {
        width: 10,
        height: 1,
    },
]

Der Grund, warum sort_by_key so definiert ist, dass es einen FnMut-Funktionsabschluss nimmt, ist, dass es den Funktionsabschluss mehrfach aufruft: Einmal für jedes Element im Anteilstyp. Der Funktionsabschluss |r| r.width erfasst, verändert oder verschiebt nichts aus seiner Umgebung, sodass er die Anforderungen der Merkmalsabgrenzung erfüllt.

Im Gegensatz dazu zeigt Codeblock 13-8 ein Beispiel für einen Funktionsabschluss, der nur das Merkmal FnOnce implementiert, weil er einen Wert aus der Umgebung verschiebt. Der Compiler lässt uns diesen Funktionsabschluss nicht mit sort_by_key verwenden:

Dateiname: src/main.rs

#[derive(Debug)]
struct Rectangle {
    width: u32,
    height: u32,
}

fn main() {
    let mut list = [
        Rectangle { width: 10, height: 1 },
        Rectangle { width: 3, height: 5 },
        Rectangle { width: 7, height: 12 },
    ];

    let mut sort_operations = vec![];
    let value = String::from("sort_by_key aufgerufen");

    list.sort_by_key(|r| {
        sort_operations.push(value);
        r.width
    });
    println!("{:#?}", list);
}

Listing 13-8: Versuch, einen FnOnce-Funktionsabschluss mit sort_by_key zu verwenden

Dies ist ein ausgeklügelter, verworrener Weg (der nicht funktioniert), um zu versuchen, die Anzahl der Aufrufe von sort_by_key beim Sortieren von list zu zählen. Dieser Code versucht, diese Zählung durchzuführen, indem er value, einen String aus der Umgebung des Funktionsabschlusses, in den sort_operations-Vektor schiebt. Der Funktionsabschluss erfasst value und verschiebt dann value aus dem Funktionsabschluss heraus, indem er die Eigentümerschaft von value an den Vektor sort_operations überträgt. Dieser Funktionsabschluss kann einmal aufgerufen werden; ein zweiter Aufruf würde nicht funktionieren, da value nicht mehr in der Umgebung wäre, um erneut in sort_operations verschoben zu werden! Daher implementiert dieser Funktionsabschluss nur FnOnce. Wenn wir versuchen, diesen Code zu kompilieren, erhalten wir die Fehlermeldung, dass value nicht aus dem Funktionsabschluss verschoben werden kann, weil der Funktionsabschluss FnMut implementieren muss:

$ cargo run
   Compiling playground v0.0.1 (/playground)
error[E0507]: cannot move out of `value`, a captured variable in an `FnMut` closure
  --> src/main.rs:18:30
   |
15 |     let value = String::from("sort_by_key aufgerufen");
   |         ----- captured outer variable
16 |
17 |     list.sort_by_key(|r| {
   |                      --- captured by this `FnMut` closure
18 |         sort_operations.push(value);
   |                              ^^^^^ move occurs because `value` has type `String`, which does not implement the `Copy` trait

For more information about this error, try `rustc --explain E0507`.
error: could not compile `rectangles` (bin "rectangles") due to 1 previous error

Der Fehler bezieht sich auf die Zeile im Funktionsabschluss-Rumpf, die value aus der Umgebung verschiebt. Um dies zu beheben, müssen wir den Rumpf des Funktionsabschlusses so ändern, dass er keine Werte aus der Umgebung verschiebt. Um zu zählen, wie oft sort_by_key aufgerufen wird, ist es einfacher, einen Zähler in der Umgebung zu halten und seinen Wert im Funktionsabschluss-Rumpf zu erhöhen, um das zu berechnen. Der Funktionsabschluss in Codeblock 13-9 funktioniert mit sort_by_key, weil er nur eine veränderbare Referenz auf den num_sort_operations-Zähler erfasst und daher mehr als einmal aufgerufen werden kann:

Dateiname: src/main.rs

#[derive(Debug)]
struct Rectangle {
    width: u32,
    height: u32,
}

fn main() {
    let mut list = [
        Rectangle { width: 10, height: 1 },
        Rectangle { width: 3, height: 5 },
        Rectangle { width: 7, height: 12 },
    ];

    let mut num_sort_operations = 0;
    list.sort_by_key(|r| {
        num_sort_operations += 1;
        r.width
    });
    println!("{:#?}, sortiert in {num_sort_operations} Operationen", list);
}

Listing 13-9: Verwenden eines FnMut-Funktionsabschlusses mit sort_by_key ist erlaubt

Die Fn-Merkmale sind wichtig bei der Definition oder Verwendung von Funktionen oder Typen, die Funktionsabschlüsse verwenden. Im nächsten Abschnitt besprechen wir Iteratoren. Viele Iterator-Methoden nehmen Funktionsabschluss-Argumente entgegen, also behalte diese Details von Funktionsabschlüssen im Kopf, wenn wir weitermachen!