Beispielprogramm mit Strukturen (structs)

Um besser zu verstehen, wann wir Strukturen verwenden können, schreiben wir ein Programm, das die Fläche eines Rechtecks berechnet. Wir beginnen mit einzelnen Variablen und schreiben das Programm dann um, bis wir stattdessen Strukturen einsetzen.

Legen wir mit Cargo ein neues Binärprojekt namens rectangles an, das die Breite und Höhe eines in Pixeln angegebenen Rechtecks nimmt und die Fläche des Rechtecks berechnet. Codeblock 5-8 zeigt ein kurzes Programm, das genau das in src/main.rs unseres Projekts macht.

Dateiname: src/main.rs

fn main() {
    let width1 = 30;
    let height1 = 50;

    println!(
        "Die Fläche des Rechtecks ist {} Quadratpixel.",
        area(width1, height1)
    );
}

fn area(width: u32, height: u32) -> u32 {
    width * height
}

Codeblock 5-8: Berechnen der Fläche eines Rechtecks, das durch separate Breiten- und Höhenvariablen beschrieben wird

Nun führe dieses Programm mit cargo run aus:

$ cargo run
   Compiling structs v0.1.0 (file:///projects/structs)
    Finished dev [unoptimized + debuginfo] target(s) in 0.42s
     Running `target/debug/structs`
Die Fläche des Rechtecks ist 1500 Quadratpixel.

Mit diesem Code gelingt es, die Fläche des Rechtecks zu ermitteln, indem die Funktion area mit jeder Dimension aufgerufen wird. Aber wir können noch mehr tun, um diesen Code klar und lesbar zu machen.

Das Problem dieses Codes wird bei der Signatur von area deutlich:

fn main() {
    let width1 = 30;
    let height1 = 50;

    println!(
        "Die Fläche des Rechtecks ist {} Quadratpixel.",
        area(width1, height1)
    );
}

fn area(width: u32, height: u32) -> u32 {
    width * height
}

Die Funktion area soll die Fläche eines Rechtecks berechnen, aber die von uns geschriebene Funktion hat zwei Parameter und es geht in unserem Programm nirgendwo klar hervor, dass die Parameter zusammenhängen. Es wäre besser lesbar und überschaubarer, Breite und Höhe zusammenzufassen. Eine Möglichkeit dazu haben wir bereits im Abschnitt „Der Tupel-Typ“ in Kapitel 3 vorgestellt: Der Einsatz von Tupeln.

Refaktorierung mit Tupeln

Codeblock 5-9 zeigt eine weitere Version unseres Programms, die Tupel verwendet.

Dateiname: src/main.rs

fn main() {
    let rect1 = (30, 50);

    println!(
        "Die Fläche des Rechtecks ist {} Quadratpixel.",
        area(rect1)
    );
}

fn area(dimensions: (u32, u32)) -> u32 {
    dimensions.0 * dimensions.1
}

Codeblock 5-9: Breite und Höhe des Rechtecks werden mit einem Tupel beschrieben

In einem Punkt ist dieses Programm besser. Das Tupel bringt etwas Struktur hinein und wir geben jetzt nur noch ein Argument weiter. Andererseits ist dieser Ansatz weniger deutlich: Tupel benennen ihre Elemente nicht, sodass wir die Teile des Tupels indizieren müssen, was unsere Berechnung weniger klar macht.

Die Verwechslung von Breite und Höhe ist für die Flächenberechnung nicht von Bedeutung, aber wenn wir das Rechteck auf dem Bildschirm zeichnen wollen, wäre es wichtig! Wir müssen uns merken, dass width der Tupelindex 0 und height der Tupelindex 1 ist. Für andere wäre es noch schwieriger, dies herauszufinden und im Kopf zu behalten, wenn sie unseren Code verwenden würden. Da wir die Bedeutung unserer Daten nicht in unseren Code übertragen haben, ist es jetzt einfacher, Fehler zu machen.

Refaktorierung mit Strukturen: Mehr Semantik

Verwenden wir Strukturen, um durch die Benennung der Daten deren Bedeutung anzugeben. Wir können das verwendete Tupel in eine Struktur mit einem Namen für das Ganze sowie mit Namen für die Einzelteile umwandeln, wie in Codeblock 5-10 gezeigt.

Dateiname: src/main.rs

struct Rectangle {
    width: u32,
    height: u32,
}

fn main() {
    let rect1 = Rectangle {
        width: 30,
        height: 50,
    };

    println!(
        "Die Fläche des Rechtecks ist {} Quadratpixel.",
        area(&rect1)
    );
}

fn area(rectangle: &Rectangle) -> u32 {
    rectangle.width * rectangle.height
}

Codeblock 5-10: Definieren der Struktur Rectangle

Hier haben wir eine Struktur definiert und sie Rectangle genannt. Innerhalb der geschweiften Klammern haben wir die Felder width und height definiert, die beide den Typ u32 haben. Dann erzeugten wir in main eine Instanz von Rectangle mit der Breite 30 und Höhe 50.

Unsere Funktion area hat nun einen Parameter, den wir rectangle genannt haben und dessen Typ eine unveränderbare Ausleihe (immutable borrow) einer Strukturinstanz Rectangle ist. Wie in Kapitel 4 erwähnt, wollen wir die Struktur nur ausleihen, nicht aber deren Eigentümerschaft (ownership) übernehmen. Auf diese Weise behält main seine Eigentümerschaft und kann weiterhin rect1 verwenden, weshalb wir & in der Funktionssignatur und an der Aufrufstelle verwenden.

Die Funktion area greift auf die Felder width und height der Instanz Rectangle zu. (Beachte, dass der Zugriff auf Felder einer ausgeliehenen Struktur-Instanz die Feldwerte nicht verschiebt, weshalb du häufig Ausleihen von Strukturen siehst.) Unsere Funktionssignatur für area sagt jetzt genau, was wir meinen: Berechne die Fläche von Rectangle unter Verwendung seiner Felder width und height. Dies drückt aus, dass Breite und Höhe in Beziehung zueinander stehen, und gibt den Werten beschreibende Namen, ohne die Tupelindexwerte 0 und 1 zu verwenden. Das erhöht die Lesbarkeit.

Hilfreiche Funktionalität mit abgeleiteten Merkmalen (derived traits)

Es wäre hilfreich, eine Instanz von Rectangle samt der Werte seiner Felder ausgeben zu können, während wir unser Programm debuggen. In Codeblock 5-11 versuchen wir, das Makro println! zu verwenden, das wir in den vorangegangenen Kapiteln verwendet haben. Dies wird jedoch nicht funktionieren.

Dateiname: src/main.rs

struct Rectangle {
    width: u32,
    height: u32,
}

fn main() {
    let rect1 = Rectangle {
        width: 30,
        height: 50,
    };

    println!("rect1 ist {}", rect1);
}

Codeblock 5-11: Versuch, eine Rectangle-Instanz auszugeben

Wenn wir diesen Code kompilieren, erhalten wir folgende Fehlermeldung:

error[E0277]: `Rectangle` doesn't implement `std::fmt::Display`

Das Makro println! kann diverse Formatierungen vornehmen. Die geschweiften Klammern weisen println! an, die Formatierung Display zu verwenden, bei der die Ausgabe direkt für den Endbenutzer bestimmt ist. Die primitiven Typen, die wir bisher gesehen haben, implementieren Display standardmäßig, denn es gibt nur eine Möglichkeit, dem Benutzer eine 1 oder einen anderen primitiven Typ zu zeigen. Aber bei Strukturen ist die Formatierung, die println! verwenden soll, weniger klar, da es mehrere Darstellungsmöglichkeiten gibt: Möchtest du Kommas oder nicht? Möchtest du die geschweiften Klammern ausgeben? Sollen alle Felder angezeigt werden? Aufgrund der vielen Möglichkeiten versucht Rust nicht zu erraten, was wir wollen. Strukturen haben daher keine Standardimplementierung von Display, um die mit println! und dem Platzhalter {} verwenden zu können.

Wenn wir die Fehlerausgabe weiterlesen, werden wir diesen hilfreichen Hinweis finden:

   = help: the trait `std::fmt::Display` is not implemented for `Rectangle`
   = note: in format strings you may be able to use `{:?}` (or {:#?} for pretty-print) instead

Lass es uns versuchen! Der Makroaufruf println! wird geändert in println!("rect1 ist {:?}", rect1);. Wenn wir das Symbol :? innerhalb der geschweiften Klammern angeben, teilen wir println! mit, dass wir das Ausgabeformat Debug verwenden wollen. Das Merkmal Debug ermöglicht es, die Struktur so auszugeben, dass Entwickler ihren Wert erkennen können, während sie den Code debuggen.

Kompiliere den Code mit dieser Änderung. Verflixt! Wir erhalten immer noch einen Fehler:

error[E0277]: `Rectangle` doesn't implement `Debug`

Aber auch hier gibt uns der Compiler einen hilfreichen Hinweis:

   = help: the trait `std::fmt::Debug` is not implemented for `Rectangle`
   = note: add `#[derive(Debug)]` or manually implement `std::fmt::Debug`

Rust enthält durchaus eine Funktionalität zum Ausgeben von Debug-Informationen, aber wir müssen diese explizit für unsere Struktur aktivieren. Dazu fügen wir das äußere Attribut #[derive(Debug)] unmittelbar vor der Strukturdefinition ein, wie in Codeblock 5-12 gezeigt.

Dateiname: src/main.rs

#[derive(Debug)]
struct Rectangle {
    width: u32,
    height: u32,
}

fn main() {
    let rect1 = Rectangle {
        width: 30,
        height: 50,
    };

    println!("rect1 ist {:?}", rect1);
}

Codeblock 5-12: Attribut zum Verwenden des Merkmals Debug und Ausgeben der Instanz Rectangle mittels Debug-Formatierung

Wenn wir das Programm nun ausführen, werden wir keinen Fehler mehr erhalten und folgende Ausgabe sehen:

$ cargo run
   Compiling structs v0.1.0 (file:///projects/structs)
    Finished dev [unoptimized + debuginfo] target(s) in 0.48s
     Running `target/debug/structs`
rect1 ist Rectangle { width: 30, height: 50 }

Toll! Es ist nicht die schönste Ausgabe, aber sie zeigt die Werte aller Felder dieser Instanz, was bei der Fehlersuche definitiv hilfreich ist. Bei größeren Strukturen ist es hilfreich, eine leichter lesbare Ausgabe zu erhalten. In diesen Fällen können wir {:#?} anstelle von {:?} in der println!-Meldung verwenden. In diesem Beispiel wird bei Verwendung von {:#?} folgendes ausgegeben:

$ cargo run
   Compiling structs v0.1.0 (file:///projects/structs)
    Finished dev [unoptimized + debuginfo] target(s) in 0.48s
     Running `target/debug/structs`
rect1 ist Rectangle {
    width: 30,
    height: 50,
}

Eine andere Möglichkeit, einen Wert im Debug-Format auszugeben, ist die Verwendung des Makros dbg!, das die Eigentümerschaft eines Ausdrucks übernimmt (im Gegensatz zu println!, das eine Referenz nimmt), die Datei und Zeilennummer, in der der dbg!-Makroaufruf in deinem Code vorkommt, zusammen mit dem resultierenden Wert des Ausdrucks ausgibt und die Eigentümerschaft am Wert zurückgibt.

Hinweis: Der Aufruf des Makros dbg! schreibt in die Standardfehlerausgabe (stderr), im Gegensatz zu println!, das in die Standardausgabe (stdout) schreibt. Wir werden mehr über stderr und stdout im Abschnitt „Fehlermeldungen in die Standardfehlerausgabe anstatt der Standardausgabe schreiben“ in Kapitel 12 erfahren.

Hier ist ein Beispiel, bei dem wir am Wert interessiert sind, der dem Feld width zugewiesen wird, als auch am Wert der gesamten Struktur in rect1:

#[derive(Debug)]
struct Rectangle {
    width: u32,
    height: u32,
}

fn main() {
    let scale = 2;
    let rect1 = Rectangle {
        width: dbg!(30 * scale),
        height: 50,
    };

    dbg!(&rect1);
}

Wir können dbg! um den Ausdruck 30 * scale setzen, und da dbg! die Eigentümerschaft des Werts des Ausdrucks zurückgibt, erhält das Feld width denselben Wert, als wenn wir den dbg!-Aufruf dort nicht hätten. Wir wollen nicht, dass dbg! die Eigentümerschaft von rect1 übernimmt, also übergeben wir eine Referenz auf rect1 im nächsten Aufruf. So sieht die Ausgabe dieses Beispiels aus:

$ cargo run
   Compiling rectangles v0.1.0 (file:///projects/rectangles)
    Finished dev [unoptimized + debuginfo] target(s) in 0.61s
     Running `target/debug/rectangles`
[src/main.rs:10:16] 30 * scale = 60
[src/main.rs:14:5] &rect1 = Rectangle {
    width: 60,
    height: 50,
}

Wir können sehen, dass der erste Teil der Ausgabe von src/main.rs Zeile 10 stammt, wo wir den Ausdruck 30 * scale debuggen, und der Ergebniswert ist 60 (die Debug-Formatierung, die für Ganzzahlen implementiert ist, gibt nur deren Wert aus). Der dbg!-Aufruf in Zeile 14 von src/main.rs gibt den Wert von &rect1 aus, der die Struktur Rectangle ist. Diese Ausgabe verwendet die hübsche Debug-Formatierung des Typs Rectangle. Das Makro dbg! kann sehr hilfreich sein, wenn du versuchst, herauszufinden, was dein Code macht!

Zusätzlich zum Merkmal Debug hat Rust eine Reihe von Merkmalen für uns bereitgestellt, die wir mit dem Attribut derive verwenden können und die unseren benutzerdefinierten Typen nützliches Verhalten verleihen können. Diese Merkmale und ihr Verhalten sind in Anhang C aufgeführt. In Kapitel 10 werden wir behandeln, wie man diese Merkmale mit benutzerdefiniertem Verhalten implementiert und wie man eigene Merkmale erstellt. Es gibt auch viele andere Attribute als derive; für weitere Informationen, siehe den Abschnitt „Attribute“ in der Rust-Referenz.

Unsere Funktion area ist sehr spezifisch: Sie berechnet nur die Fläche von Rechtecken. Es wäre hilfreich, dieses Verhalten enger mit unserer Struktur Rectangle zu verbinden, da es zu keinem anderen Typ passt. Schauen wir uns an, wie wir den Code weiter umgestalten und unsere Funktion area in eine Methode area unseres Typs Rectangle verwandeln können.