Referenzen und Ausleihen (borrowing)

Das Problem mit dem Tupelcode in Codeblock 4-5 ist, dass wir der aufrufenden Funktion den String zurückgeben müssen, damit wir den String nach dem Aufruf von calculate_length weiter verwenden können, weil der String in calculate_length verschoben wurde. Stattdessen können wir eine Referenz auf den String-Wert angeben. Eine Referenz ist wie ein Zeiger, d.h. eine Adresse, der wir folgen können, um auf Daten zugreifen zu können, die an dieser Adresse gespeichert sind und einer anderen Variablen gehören. Im Gegensatz zu einem Zeiger ist bei einer Referenz garantiert, dass sie auf einen gültigen Wert eines bestimmten Typs zeigt.

Im Folgenden siehst du, wie du eine Funktion calculate_length definieren und verwenden kannst, die eine Referenz auf ein Objekt als Parameter hat, anstatt die Eigentümerschaft (ownership) des Wertes zu übernehmen:

Dateiname: src/main.rs

fn main() {
    let s1 = String::from("Hallo");

    let len = calculate_length(&s1);

    println!("Die Länge von '{}' ist {}.", s1, len);
}

fn calculate_length(s: &String) -> usize {
    s.len()
}

Beachte, dass der gesamte Tupelcode aus der Variablendeklaration und dem Rückgabewert der Funktion verschwunden ist. Beachte des Weiteren, dass wir &s1 an calculate_length übergeben und in seiner Definition &String statt String steht. Das &-Zeichen steht für eine Referenz, und sie ermöglicht es dir, sich auf einen Wert zu beziehen, ohne dessen Eigentümerschaft zu übernehmen. Abbildung 4-5 zeigt die Speicherdarstellung.

Drei Tabellen: Die Tabelle für s enthält nur einen Zeiger auf die
Tabelle für s1. Die Tabelle für s1 enthält die Stapelspeicher-Daten für s1 und
zeigt auf die Zeichenketten-Daten auf dem Haldenspeicher.

Abbildung 4-5: Eine Grafik mit &String s, das auf String s1 zeigt

Anmerkung: Das Gegenteil der Referenzierung durch & ist die Dereferenzierung (dereferencing), die mittels Dereferenzoperator * erfolgt. Wir werden in Kapitel 8 einige Verwendungen des Dereferenzoperators sehen und in Kapitel 15 Einzelheiten der Dereferenzierung besprechen.

Schauen wir uns den Funktionsaufruf hier genauer an:

fn main() {
    let s1 = String::from("Hallo");

    let len = calculate_length(&s1);

    println!("Die Länge von '{}' ist {}.", s1, len);
}

fn calculate_length(s: &String) -> usize {
    s.len()
}

Die Syntax &s1 erlaubt es uns, eine Referenz zu erstellen, die auf den Wert von s1 referenziert, ihn aber nicht besitzt. Da sie diesen nicht besitzt, verfällt der Wert, auf den sie verweist, nicht, wenn die Referenz nicht mehr benutzt wird.

Ebenso verwendet die Signatur der Funktion das Zeichen &, um anzuzeigen, dass der Typ des Parameters s eine Referenz ist. Lass uns einige erklärende Anmerkungen ergänzen:

fn main() {
    let s1 = String::from("Hallo");

    let len = calculate_length(&s1);

    println!("Die Länge von '{}' ist {}.", s1, len);
}

fn calculate_length(s: &String) -> usize { // s ist eine Referenz
                                           // auf eine Zeichenkette
    s.len()
} // Hier verlässt s den Gültigkeitsbereich. Aber weil es keine
  // Eigentümerschaft an dem hat, worauf es referenziert, passiert nichts.

Der Gültigkeitsbereich, in dem die Variable s gültig ist, ist derselbe wie der Gültigkeitsbereich eines Funktionsparameters, aber der Wert, auf den die Referenz zeigt, wird nicht aufgeräumt, wenn s nicht mehr verwendet wird, weil s keine Eigentümerschaft hat. Wenn Funktionen statt der tatsächlichen Werte Referenzen als Parameter haben, brauchen wir die Werte nicht zurückzugeben, um die Eigentümerschaft zurückzugeben, denn wir hatten nie die Eigentümerschaft.

Wir nennen den Vorgang des Erstellens einer Referenz Ausleihen (borrowing). Wenn eine Person im richtigen Leben etwas besitzt, kannst du es von ihr ausleihen. Wenn du fertig bist, musst du es zurückgeben. Es gehört dir nicht.

Was passiert nun, wenn wir versuchen, etwas zu verändern, das wir uns ausleihen? Versuche den Code in Codeblock 4-6. Achtung: Es funktioniert nicht!

Dateiname: src/main.rs

fn main() {
    let s = String::from("Hallo");

    change(&s);
}

fn change(some_string: &String) {
    some_string.push_str(" Welt");
}

Codeblock 4-6: Versuch, einen ausgeliehenen Wert zu verändern

Hier ist die Fehlermeldung:

$ cargo run
   Compiling ownership v0.1.0 (file:///projects/ownership)
error[E0596]: cannot borrow `*some_string` as mutable, as it is behind a `&` reference
 --> src/main.rs:8:5
  |
8 |     some_string.push_str(" Welt");
  |     ^^^^^^^^^^^ `some_string` is a `&` reference, so the data it refers to cannot be borrowed as mutable
  |
help: consider changing this to be a mutable reference
  |
7 | fn change(some_string: &mut String) {
  |                         +++

For more information about this error, try `rustc --explain E0596`.
error: could not compile `ownership` (bin "ownership") due to 1 previous error

So wie Variablen standardmäßig unveränderbar sind, so sind auch Referenzen unveränderbar. Es ist uns nicht erlaubt, etwas zu verändern, auf das wir eine Referenz haben.

Veränderbare Referenzen

Wir können den Code aus Codeblock 4-6 so ändern, dass wir einen geliehenen Wert mit ein paar kleinen Änderungen ändern können, die stattdessen eine veränderbare Referenz verwenden:

Dateiname: src/main.rs

fn main() {
    let mut s = String::from("Hallo");

    change(&mut s);
}

fn change(some_string: &mut String) {
    some_string.push_str(" Welt");
}

Zuerst ändern wir s, um mut zu sein. Dann erstellen wir eine veränderbare Referenz mit &mut s, wo wir die Funktion change aufrufen, und aktualisieren die Funktionssignatur, um eine veränderbare Referenz mit some_string: &mut String entgegenzunehmen. Dies macht deutlich, dass die Funktion change den Wert, den sie ausleiht, verändert.

Veränderbare Referenzen haben eine große Einschränkung: Wenn du eine veränderbare Referenz auf einen Wert hast, kannst du keine andere Referenz auf diesen Wert haben. Dieser Code versucht, zwei veränderbare Referenzen auf s zu erstellen, und wird fehlschlagen:

Dateiname: src/main.rs

#![allow(unused)]
fn main() {
let mut s = String::from("Hallo");

let r1 = &mut s;
let r2 = &mut s;

println!("{}, {}", r1, r2);
}

Hier ist die Fehlermeldung:

$ cargo run
   Compiling ownership v0.1.0 (file:///projects/ownership)
error[E0499]: cannot borrow `s` as mutable more than once at a time
 --> src/main.rs:5:14
  |
4 |     let r1 = &mut s;
  |              ------ first mutable borrow occurs here
5 |     let r2 = &mut s;
  |              ^^^^^^ second mutable borrow occurs here
6 | 
7 |     println!("{}, {}", r1, r2);
  |                        -- first borrow later used here

For more information about this error, try `rustc --explain E0499`.
error: could not compile `ownership` (bin "ownership") due to 1 previous error

Dieser Fehler besagt, dass dieser Code ungültig ist, weil wir s nicht mehr als einmal zur gleichen Zeit als veränderbar ausleihen können. Die erste veränderbare Ausleihe ist in r1 und muss beibehalten werden, bis sie in println! verwendet wird, aber zwischen dem Erstellen dieser veränderbaren Referenz und ihrer Verwendung haben wir versucht, eine andere veränderbare Referenz in r2 zu erstellen, der die gleichen Daten wie r1 ausleiht.

Die Beschränkung, die mehrere veränderbare Referenz auf dieselben Daten zur gleichen Zeit verhindert, erlaubt Veränderung, aber in einer sehr kontrollierten Weise. Das ist etwas, womit Rust-Neulinge zu kämpfen haben, denn in den meisten Sprachen kann man verändern wann immer man will. Diese Beschränkung hat den Vorteil, dass Rust Daten-Wettlaufsituation zur Kompilierzeit verhindern kann. Eine Daten-Wettlaufsituation (data race) ist ähnlich einer Wettlaufsituation (race condition) und tritt auf, wenn diese drei Verhaltensweisen auftreten:

  • Zwei oder mehr Zeiger greifen gleichzeitig auf die gleichen Daten zu.
  • Mindestens einer der Zeiger wird zum Schreiben auf die Daten verwendet.
  • Es gibt keinen Mechanismus, um den Zugriff auf die Daten zu synchronisieren.

Daten-Wettlaufsituationen verursachen undefiniertes Verhalten und können schwierig zu diagnostizieren und zu beheben sein, wenn du versuchst, sie zur Laufzeit aufzuspüren; Rust verhindert dieses Problem, indem es Code mit Daten-Wettlaufsituationen gar nicht erst kompiliert!

Wie immer können wir geschweifte Klammern verwenden, um einen neuen Gültigkeitsbereich zu schaffen, der mehrere veränderbare Referenzen erlaubt, nur nicht gleichzeitige:

#![allow(unused)]
fn main() {
let mut s = String::from("Hallo");

{
    let r1 = &mut s;
} // r1 verlässt hier den Gültigkeitsbereich, sodass wir
  // problemlos eine neue Referenz erstellen können.

let r2 = &mut s;
}

Rust erzwingt eine ähnliche Regel für die Kombination von veränderbaren und unveränderbaren Referenzen. Dieser Code führt zu einem Fehler:

#![allow(unused)]
fn main() {
let mut s = String::from("Hallo");

let r1 = &s;     // kein Problem
let r2 = &s;     // kein Problem
let r3 = &mut s; // GROSSES PROBLEM

println!("{}, {} und {}", r1, r2, r3);
}

Hier ist die Fehlermeldung:

$ cargo run
   Compiling ownership v0.1.0 (file:///projects/ownership)
error[E0502]: cannot borrow `s` as mutable because it is also borrowed as immutable
 --> src/main.rs:6:14
  |
4 |     let r1 = &s;     // kein Problem
  |              -- immutable borrow occurs here
5 |     let r2 = &s;     // kein Problem
6 |     let r3 = &mut s; // GROSSES PROBLEM
  |              ^^^^^^ mutable borrow occurs here
7 | 
8 |     println!("{}, {} und {}", r1, r2, r3);
  |                               -- immutable borrow later used here

For more information about this error, try `rustc --explain E0502`.
error: could not compile `ownership` (bin "ownership") due to 1 previous error

Puh! Wir können auch keine veränderbaren Referenzen verwenden, solange wir eine unveränderbare Referenz auf denselben Wert haben.

Nutzer einer unveränderbaren Referenz erwarten nicht, dass sich die Werte dahinter plötzlich ändern! Mehrere unveränderbare Referenzen sind jedoch in Ordnung, da niemand, der die Daten nur liest, die Möglichkeit hat, das Lesen der Daten durch andere zu beeinflussen.

Beachte, dass der Gültigkeitsbereich einer Referenz dort beginnt, wo sie eingeführt wird, und sich bis zur letzten Verwendung dieser Referenz fortsetzt. Zum Beispiel kompiliert dieser Code, weil die letzte Verwendung der unveränderbaren Referenzen in println! vor der Einführung der veränderbaren Referenz erfolgt:

#![allow(unused)]
fn main() {
let mut s = String::from("Hallo");

let r1 = &s; // kein Problem
let r2 = &s; // kein Problem
println!("{} und {}", r1, r2);
// r1 und r2 werden nach dieser Stelle nicht mehr verwendet

let r3 = &mut s; // kein Problem
println!("{}", r3);
}

Die Gültigkeitsbereiche der unveränderbaren Referenzen r1 und r2 enden nach dem println!, wo sie zuletzt verwendet werden, d.h. bevor die veränderbare Referenz r3 erstellt wird. Diese Gültigkeitsbereiche überschneiden sich nicht, daher ist dieser Code zulässig: Der Compiler kann erkennen, dass die Referenz bereits vor dem Ende des Gültigkeitsbereichs nicht mehr verwendet wird.

Auch wenn Fehler durch Ausleihen manchmal frustrierend sein können, denke daran, dass es der Rust-Compiler ist, der frühzeitig (zur Kompilierzeit und nicht zur Laufzeit) auf einen möglichen Fehler hinweist und dir genau zeigt, wo das Problem liegt. Dann musst du nicht aufspüren, warum deine Daten nicht so sind, wie du dachtest.

Hängende Referenzen

In Sprachen mit Zeigern ist es leicht, fälschlicherweise einen hängenden Zeiger (dangling pointer) zu erzeugen, also einen Zeiger, der auf eine Stelle im Speicher verweist, die vielleicht an jemand anderem vergeben wurde, weil der Speicher freigegeben wurde, während noch ein Zeiger auf diesen Speicher bestehen bleibt. In Rust hingegen garantiert der Compiler, dass Referenzen niemals hängende Referenzen sein können: Wenn du eine Referenz auf Daten hast, stellt der Compiler sicher, dass die Daten nicht den Gültigkeitsbereich verlassen, bevor die Referenz auf die Daten dies tut.

Versuchen wir, eine hängende Referenz zu erstellen, um zu sehen wie Rust das mit einem Kompilierfehler verhindert:

Dateiname: src/main.rs

fn main() {
    let reference_to_nothing = dangle();
}

fn dangle() -> &String {
    let s = String::from("Hallo");

    &s
}

Hier ist die Fehlermeldung:

$ cargo run
   Compiling ownership v0.1.0 (file:///projects/ownership)
error[E0106]: missing lifetime specifier
 --> src/main.rs:5:16
  |
5 | fn dangle() -> &String {
  |                ^ expected named lifetime parameter
  |
  = help: this function's return type contains a borrowed value, but there is no value for it to be borrowed from
help: consider using the `'static` lifetime, but this is uncommon unless you're returning a borrowed value from a `const` or a `static`
  |
5 | fn dangle() -> &'static String {
  |                 +++++++
help: instead, you are more likely to want to return an owned value
  |
5 - fn dangle() -> &String {
5 + fn dangle() -> String {
  |

For more information about this error, try `rustc --explain E0106`.
error: could not compile `ownership` (bin "ownership") due to 1 previous error

Diese Fehlermeldung bezieht sich auf eine Funktionalität, die wir noch nicht behandelt haben: Die Lebensdauer. Wir werden die Lebensdauer in Kapitel 10 im Detail besprechen. Abgesehen von den Hinweisen zur Lebensdauer enthält die Meldung den entscheidenden Hinweis, warum dieser Code nicht funktioniert:

this function's return type contains a borrowed value, but there is no value
for it to be borrowed from

Lass uns einen genaueren Blick auf das werfen, was in jeder Phase unseres dangle-Codes geschieht:

Dateiname: src/main.rs

fn main() {
    let reference_to_nothing = dangle();
}

fn dangle() -> &String { // dangle gibt eine Referenz
                         // auf eine Zeichenkette zurück

    let s = String::from("Hallo"); // s ist eine neue Zeichenkette

    &s // wir geben einen Verweis auf die Zeichenkette s zurück
} // Hier verlässt s den Gültigkeitsbereich und wird verworfen.
  // Sein Speicherplatz wird aufgeräumt. Gefahr!

Da s innerhalb dangle erzeugt wird, wird s wieder freigegeben, wenn der Code von dangle zu Ende ist. Aber wir haben versucht, eine Referenz darauf zurückzugeben. Das heißt, diese Referenz würde auf einen ungültigen String verweisen. Das ist nicht gut! Rust lässt uns das nicht tun.

Die Lösung ist, den String direkt zurückzugeben:

fn main() {
    let string = no_dangle();
}

fn no_dangle() -> String {
    let s = String::from("Hallo");

    s
}

Dies funktioniert ohne Probleme. Die Eigentümerschaft wird nach außen verschoben, und nichts wird freigegeben.

Regeln für Referenzen

Lass uns rekapitulieren, was wir über Referenzen gelernt haben:

  • Zu jedem beliebigen Zeitpunkt kannst du entweder eine veränderbare Referenz oder eine beliebige Anzahl unveränderbarer Referenzen haben.
  • Referenzen müssen immer gültig sein.

Als Nächstes werden wir uns mit einer anderen Art von Referenz befassen: Anteilstypen (slice).